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LEITER OLAF RADTKE (R.) MIT DEN MITARBEITERN SASCHA TANZER (V.L.), ALEX WARONZOW, GENNADI ZASLAVSKY, DEK SALAD WARDERE UND SAFAK GÜNDOGDU VOR DEN RÄUMLICHKEITEN DES VEREINS AN DER PETER-LAUTEN-STRASSE 19. FOTO: DIRK JOCHMAN

Sprungbrett für Neustart ins Leben

Vor 25 Jahren wurde die Beschäftigungsinitiative Anstoss gegründet, die sich an den Grundsätzen der Emmaus-Gemeinschaft orientiert

Olaf Radtke hat selbst erlebt, wie gut man aufgefangen wird beim Verein Anstoss, der in diesem Jahr das 25-jährige Bestehen feiert. Der gelernte Krankenpfleger stieß vor 15 Jahren dazu. Mit Depressionen hatte er zu kämpfen, er griff oft zur Flasche, nahm seine Verpflichtungen und Termine eher unzuverlässig wahr. Heute leitet er die Abteilung für Fahrrad-Recycling samt Werkstatt des Vereins, ist alleinerziehender Vater eines Sohnes und überaus glücklich, die persönliche Wende geschafft zu haben.

„Anstoss stand immer hinter mir“, erinnert er sich an die schwierige Zeit. „Die richtigen Leute waren an meiner Seite.“ Die Beschäftigungsinitiative war am 11. März 1999 vom Garten- und Landschaftsbaumeister Markus Lechner gegründet worden, der in der Sonsbecker Emmaus-Gesellschaft engagiert war und sich in Krefeld selbstständig machte. Schon 1998 waren im Krefelder Emmaus-Tagestreff Fragen aufgekommen, ob die Hilfsorganisation nicht auch Menschen Arbeit anbieten möge, dich nicht in der Emmaus-Gemeinschaft wohnen möchten. Lechner holte sich tatkräftige Männer aus dieser Zusammenkunft, um einen Auftrag in einem Essener Einkaufszentrum zu erfüllen. Die Bepflanzung von 300 Blumenkübeln. Das war anschließend Ansporn genug, die Beschäftigungsinitiative Anstoss ins Leben zu rufen.

Die Prinzipien der aus Frankreich stammenden Hilfsorganisation Emmaus liegen auch dem Verein zugrunde. „Hilf denen, denen es noch schlechter geht als dir selbst“, war ein Leitsatz des Emmaus-Gründers Abbé Pierre. Übertragen auf Anstoss sollte die Aufgabe lauten: „Wir wollen eine Hilfe zur Selbstermächtigung leisten“, erzählt Olaf Radtke heute. Langzeitarbeitslose und Obdachlose will man dazu ertüchtigen, ihr eigenes Geld zu verdienen und frei von staatlicher Unterstützung zu leben. Anstoss versteht sich als Helfer für Qualifizierungs- und Eingliederungsmaßnahmen der Stadt und des Jobcenters. Neben dem professionell betriebenen Garten- und Landschaftsbau gehören auch Tätigkeiten rund um Möbelaufbereitung, Pflanzentauschbörse sowie die Fahrradwerkstatt an der Peter-Lauten-Straße dazu.

Mehr als 200 Erwachsene und Jugendlichen habe man seit 1999 schon Berufspraktika, Arbeitsmöglichkeiten und Wiedereingliederungen verschafft, so Radtke. „Einige haben sogar feste Jobs bei uns im Verein gefunden.“ 20 Angestellte arbeiten heute bei Anstoss in Verwaltung, Verkauf, in der Fahrradwerkstatt oder im Garten- und Landschaftsbau. Dazu kommen Freiwillige und Ehrenamtler, die das Team verstärken. Manch einer bleibt lange dabei. „Einer der Beschäftigten war 25 Jahre bei uns“, erzählt Olaf Radtke stolz. Das Miteinander sei äußerst förderlich, denn niemand hier erhebe sich über den Anderen. „Jeder hat hier seine Geschichte und die ist immer präsent“, sagt er. Heißt: Nicht nur diejenigen, die hier ans Arbeitsleben herangeführt werden, tragen ein Päckchen an Problemen in ihrer Biografie mit sich herum, sondern auch diejenigen, die die Arbeit anbieten, wie Radtke selbst, aber auch Geschäftsführer und Gründer Markus Lechner, um nur zwei zu nennen. So blicke man mit viel Verständnis auf den jeweils anderen. „Es gibt hier keine Scham. Man hilft einander.“

Die Begleiter wollen auf Augenhöhe sein

Der Name Compagnon, der hier nicht ungeläufig ist, stammt noch aus der Emmaus-Geschichte. So heißen Menschen, die in der Hilfsorganisation arbeiten: Begleiter. Da steckt viel Augenhöhe drin. Anstoss, so sagt es Olaf Radtke, sei eben kein „üblicher Arbeitgeber.“ Neben dem Engagement für sozial Schwache und Menschen am Rande der Gesellschaft unterstützt der Verein auch bei Behördengängen, Wohngeld-Formularen und bei der Lebenshilfe. Es sind manchmal auch Sozialarbeiter-Tätigkeiten, die angeboten würden. Nicht jeder allerdings schaffe den Sprung: „Es gibt auch Leute, die einfach schwer integrierbar sind“, sagt Olaf Radtke. „Das gibt dann auch mal Enttäuschungen.“

Künftig will Anstoss auch einen Wohncontainer für Obdachlose in Krefeld aufstellen, finanziert aus dem Geschäft mit Garten- und Landschaftsbau sowie dem Fahrradladen. Auch für die leidgeplagten Menschen in der Ukraine hat der Verein schon einen Hilfstransport arrangiert.

Anstoss ist präsent und legt sich ins Zeug, auch in England half man schon bei einer befreundeten Emmaus-Gemeinschaft aus. Die Arbeit in Krefeld aber bleibt herausfordernd, auch im Jubiläumsjahr.


Quelle: WZ vom 4.4.24, Autor: Andre Lerch, Foto: Dirk Jochmann

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